Franz Josef Burghardt
Der Plan einer Landesdefension
im Herzogtum Berg 1609/10
Mit dem Tod des kinderlosen Johann Wilhelm, Herzog von Jülich, Kleve und Berg, begann 1609 der
sogenannte "Jüliche Erbfolgestreit" um seine Territorien zwischen dem Kaiser, den Kurfürsten von Sachsen
und Brandenburg sowie dem Pfalzgrafen von Neuburg. Markgraf Ernst von Brandenburg als Statthalter
seines kurfürstlichen Bruders Johann Sigismund und Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg einigten sich nach
wenigen Monaten auf die Aufstellung einer Armee [1] und besetzten 1610 die drei Herzogtümer sowie
die zugehörigen Grafschaften Mark und Ravensberg.
Parallel zur Aufstellung dieser Armee lief eine Planung für eine "Landesdefension" - auch "Defensionswerk" genannt [2] -,
maßgeblich vorangetrieben durch Gf. Johann VII. von Nassau-Siegen und den Obristen Heinrich Quad zu
Isengarten [3] aus dem Amt Windeck im Südosten des Herzogtums Berg. Dazu sollten bei Musterungen wehrfähige
junge Männer ausgesucht, dann militärisch geschult und schließlich unter der Führung erfahrener Offiziere als defensive
Einheiten im Falle eines Angriffs eingesetzt werden zu können.
Dieses Konzept war wesentlich auf neue, im 16. Jahrhundert aufkommende Ideen zur prinzipiellen Gestaltung eines
Gemeinwesens von der Basis her (Lipsius, Althusius) zurückzuführen und wurde vor allem in den calvinistischen Grafschaften
Nassa, Sayn-Wittgenstein und Solms ("Westerwälder Triumvirat") sowie durch die Fürsten von Nassau-Oranien in
den Niederlanden realisiert. Das "Verteidigungsbuch" Johanns VII. von Nassau-Siegen gehörte zu den wesentlichen
theoretischen Werken um 1600 zu dieser Thematik, in dem ausführlich auf die Vorteile einer Landesdefension
durch die einheimische Bevölkerung hingewiesen wurde. [4]
Eigentlich war seit dem Hochmittelalter der ritterschaftliche Adel für die Landesverteidigung zuständig,
doch beklagte der Jurist und Diplomat Nikolaus Langenberg 1617 in biotteren Worten den Unwillen der Adligen, sich militärisch
zu schulen; statt dessen widme sich dieser nur den angenehmen Seiten des Lebens [5]. Angesichts der immer professioneller
agierenden großen spanischen, kaiserlichen und niederländischen Armeen konnten auch die wenigen "Dienstreiter"
("Freie"), die sich seit etwa 1550 gegen eine Steuerbefreiung ihres Grundbesitzes ("Sattelgüter") zum Militärdienst
"mit Pferd und Harnisch" bereit erklärt hatten, nichts Nennenswertes zur Abwehr fremder Truppen beitragen [6].
In den Kriegen des 17. Jahrhunderts spielten die "Landschützen", wie man die Soldaten der Defensionswerke
nannte, nur auf Gemeinde- oder Amtsebene bei polizeilichen Ordnungsmaßnahmen eine Rolle [7]. Die Landesverteidigung
wurde dagegen mehr und mehr einem aus dem Steueraufkommenden finanzierten stehende Heer übertragen.
[1] Eine umfangreiche Aufstellung des von Markgraf Ernst zu stellenden Teils dieser Armee v. 3. Okt. (wohl 1609) st.n.
als Beilage in GStA PK, I HA, Rep. 34, Nr. 3612, foliiert 1-10.
[2] Allgemein zu den Landesdefensionen in der Frühen Neuzeit Eugen von Fahrenholz: Das Heerwesen
in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, 2. Teil: Die Landesdefension, München 1939.
[3] Zu Quad s. Franz Josef Burghardt: Zwischen Fundamentalismus und Toleranz. Calvinistische Einflüsse
auf Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg vor seiner Konversion (= Historische Forschungen 96),
Berlin 2012, S. 43-44.
[4] Gerhard Oestreich: Graf Johann VII. Verteidigungsbuch für Nassau-Dillenburg 1595. Der Unterschied der
nassauischen von der oranischen Staats- und Wehridee. In: Nassauische Annalen 69 (1958), S. 135-165.
[5] "Mit unserer löblichen Ritterschaft muß ich ein wenig Sprach halten unnd zugleich dißmal meinen einfaltigen
Discurs damit beschliessen. Ich glaube, daß etliche seyn, die ihn einbilden, es seye gnug, daß man sie nach ihrem
Tod in Harnisch mahle oder in Marmor und andere Stein hawen lasse, daß sie Schild und Helm von ihren
A[h]nherren ererbet, und wollen soten beym Leben dasjenige nicht einmal auffsetzen, nicht eins anschrauben
und umbgürten lassen, besorgen, daß solches ihnen wehe thun und drucken würde; aber sie mögen und sollen wissen,
daß der Ritterstand von den Vorfahren her weit einen andern Orden und Regel habe." Nicolaus von Langenbergh:
Außführlicher Discvrs Von der Gülchischen Landen und Leuten hochbetrübten und gantz gefährlichen Zustand,
o.O. 1617, S. 100.
[6] Franz Josef Burghardt: Dienstreiter des Amtes Blankenberg und ihre Sattelgüter im 16. Jahrhundert. In: Heimatblätter
des Rhein-Sieg-Kreises, 54.-55. Jg. (1986/87), S. 162-176.
[7] Für das bergische Amt Wundeck s. Gottfried Corbach: Geschichte von Waldbröl, Köln 1973, S. 75-77.
Akten
Schreiben des Obristen Heinrich Quad zu Isengarten an Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg (Isengarten? 6. Okt. 1609 wohl st.nov.; Kopie).
Online
Schreiben des Grafen Johann VII. von Nassau an Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg (Siegen 25. Fez. 1609 / 4. Jan. 1610).
Online
Schreiben der Possidierenden Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Neuburg und Markgraf Ernst von Brandenburg an die Landstände des Hzms. Berg
(Düsseldforf 4./14. April 1610; Kopie bestätigt von Heinrich Quadt zu Isengarten und Gerhardt von Aldenbrück gnt. Velbrück).
Online